Der World Mental Health Day ist als weltweiter Aktionstag die perfekte Gelegenheit, um die Bedeutung mentaler Gesundheit ins Klassenzimmer zu bringen. Drei Mental Health Coaches verraten uns ihre besten niedrigschwelligen Übungen, mit denen jede Lehrkraft sofort und ohne Vorkenntnisse ihren Schüler*innen etwas Gutes für die Psyche tun kann.
Es muss nicht immer gleich eine Doppelstunde sein. Auch einzelne Übungen helfen Schüler*innen dabei, sich zu entspannen, Druck und Prüfungsstress loszuwerden oder mit besserer Laune durch den Tag zu kommen. Das Tolle: Für die folgenden Sequenzen brauchen Lehrkräfte weder eine Mental-Health-Ausbildung noch eine Fortbildung oder einen Kurs. Wir haben drei Mental Health Coaches nach niedrigschwelligen Übungen mit großer Wirkung gefragt.
Mental-Health-Übungen von Annika Schramm
Der Bodyscan
„Hier geht es um Übungen mit körperlichen Sinnesempfindungen. Also aus den Gedanken und dem Außen rauszukommen. Sich auf den Körper zu konzentrieren bringt uns in die Ruhe, wir kommen bei uns selbst an. Dazu ist die Bodyscan-Übung sehr gut geeignet. Also eine Reise durch den Körper, die man gut im Klassenzimmer im Sitzen anleiten kann, von Kopf bis Fuß: ‚Fühl in deinen rechten Fuß, in deine rechte Wade, in dein rechtes Knie…‘ – wenn man es nicht selbst sprechen möchte, gibt es auch viele eingesprochene Anleitungen, die man sich gemeinsam anhören kann. Schauen Sie bezüglich Länge und Geschwindigkeit, dass der Bodyscan für die Gruppe angemessen ist. Die Übung ist deshalb auch so gut, weil man mit den eigenen Gedanken nicht ganz alleine gelassen wird, sondern diese sich dem Körper entlanghangeln können.“
Achtsames essen
„Auch achtsam essen empfehle ich sehr gerne. Das geht beispielsweise mit Rosinen oder Gummibärchen. Man geht die verschiedenen Sinneswahrnehmungen in Bezug auf ein bestimmtes Objekt durch. Wichtig ist, vorher zu sagen, dass die Gummibärchen oder Rosinen nicht gleich gegessen werden sollen, da ist bei den Schüler*innen die Impulskontrolle gefragt. Viele berichten hinterher, dass es total schwer war, nicht gleich loszuessen.
Die Lehrkraft sollte die Übung anleiten. Also: ‚Wir schauen die Rosine jetzt mal ganz genau für eine Minute an, wir riechen an ihr, jetzt kommen wir ins Fühlen, drücken sie am Ohr hin und her – können wir etwas hören? Jetzt fühlen wir sie mit der Lippe, jetzt schmecken wir sie mal mit der Zungenspitze, jetzt legen wir sie in den Mund und schauen, was passiert. Läuft das Wasser im Munde zusammen?‘ Erst dann darf man gemeinsam draufbeißen. Hinterher gibt es Feedback, wie das erlebt wurde. Es ist immer spannend, in den Austausch zu kommen.“
Die Atem-Meditation
„Gerade in der Medienflut, in der sich viele Kinder und Jugendliche heute befinden, ist es wichtig, dass sie sich auf ihre Körperlichkeit und ihre Empfindungen beziehen können. Eine Atmen-Meditation eignet sich dafür hervorragend. Im ersten Schritt ist es wichtig, für eine ungestörte Atmosphäre zu sorgen. Die Schüler*innen dürfen die Augen schließen oder den Blick auf einen Punkt auf dem Boden vor sich richten. Dann sollen sie die Konzentration auf ihren natürlichen Atem richten. Die Aufgabe ist, nur zu beobachten, wie die Luft am Eingang der Nasenlöcher einströmt und wie sie wieder ausströmt – für eine bis fünf Minuten lang. Je nach Alter der Schüler*innen und wie oft die Klasse schon geübt hat.
Die Kinder oder Jugendlichen werden feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, eine Minute lang nur auf den natürlichen Atem zu achten – und dass immer wieder Gedanken oder Empfindungen in den Vordergrund treten. Die Aufgabe ist dann, diese im ersten Schritt zu bemerken und die Konzentration anschließend wieder auf den Atem zu richten – und dabei auch noch geduldig und freundlich mit sich selbst zu bleiben. Also nicht zu denken: ‚Wie blöd bin ich denn, dass ich mich nicht mal eine Minute konzentrieren kann?!‘. Wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen sich nicht verurteilen, wenn es mal nicht klappt. Diese Übung ist wahnsinnig wirkungsvoll. Es gibt eine Reihe von Studien und positiven Befunden, die zeigen, dass sich die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit verbessern können. Auch das Wohlbefinden und das Mitgefühl sich selbst und anderen Menschen gegenüber wird gestärkt. Die Impuls- und Emotionsregulation wird verbessert, das Immunsystem unterstützt. Zudem wird der Cortisolspiegel gesenkt, was zu Stressabbau führt.
Annika Schramm arbeitet als Mental Health Coachin am Max-Planck-Gymnasium in München. Sie hat Lehramt mit Schulpsychologie studiert und in Schulpädagogik zum Thema „Meditation und Achtsamkeit in der Schule“ promoviert.
Mental-Health-Übungen von Philipp Elsner
Die Traumreise
„Als wirklich niedrigschwelliges Angebot empfehle ich gerne Traumreisen. Die gibt es zu verschiedenen Themen, etwa bei Spotify. Man kann sie abspielen – oder aber sich erst mal nur inspirieren lassen und dann der Klasse selbst eine Reise vorlesen. Dazu gibt es vorgefertigte Geschichten im Internet. Wichtig ist, dass die Schüler*innen die Augen schließen, damit sie nicht von der Umgebung abgelenkt sind. Sie können auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Ich finde an der Übung toll, dass die Kinder und Jugendlichen runterkommen, an etwas anderes denken, ihre Sorgen beiseiteschieben – und dabei wird auch noch ihre Fantasie angeregt. Und: Traumreisen kann man schon mit kleinen Kindern machen.“
Die Dankbarkeitsübung
„Ich lasse am Anfang einer Stunde jede*n einzelne*n zu Wort kommen zu der Frage: ‚Wofür bist Du dankbar?‘ und gebe den Jugendlichen auch Zeit, darüber nachzudenken. Viele wissen im ersten Moment gar nicht, was das sein könnte. Sie müssen erst einmal darauf kommen, dass vieles im Alltag nicht selbstverständlich ist. Oft sind die Schüler*innen daran interessiert, für was die anderen in ihrer Klasse dankbar sind – das inspiriert sie, über das eigene Leben nachzudenken. Nach den Ferien sind es oft Urlaubsreisen, die sie erlebt haben. Andere verstehen schon eher, dass es gerade die Kleinigkeiten sind, für die man dankbar sein kann: Dass die Mutter extra das Lieblingsessen gekocht hat zum Beispiel. Dankbar zu sein ist ein positiver Aspekt, der die Schüler*innen den ganzen Tag noch begleitet. Die Stimmung wird aufgehellt, die Kinder und Jugendlichen fühlen sich wohler.
Es lohnt sich, die Übung immer mal wieder zu machen, denn Dankbarkeit braucht Kontinuität. Nach zwei bis drei Wochen passieren da Wunder, die Schüler*innen öffnen sich komplett. Aber dafür brauchen sie eben Vertrauen, auch der Person gegenüber, die die Übung anleitet.“
Philipp Elsner hat Lehramt studiert, sich aber gegen ein Referendariat entschieden – er wollte lieber als Mental Health Coach an die Schulen gehen und ist an zwei Schulen im Kreis Rottweil tätig.
Mental-Health-Übungen von Heike Lemmermöhle
Gute Stimmung mit Bio-Orangenöl
„Jede Klasse ist ein Universum für sich. Was in der einen Klasse funktioniert, muss noch lange nicht in der anderen gut klappen. Mein Lieblingstool ist, einen Diffusor mit ein paar Tropfen Bio-Orangenöl ins Klassenzimmer zu stellen. In Klassenräumen riecht es ja häufig muffig, da ist Orangenöl, das als Glücklichmacher gilt, das Allerbeste. Es hebt die Stimmung, macht ein warmes Gefühl, vertreibt trübe Gedanken und Ängste, hilft bei Schnupfnasen und hat eine antidepressive Wirkung. Es ist wirklich fast unmöglich, an Orangen zu schnuppern und gleichzeitig schlecht gelaunt zu sein. Es hilft auch, die Stimmung der Menschen im Raum konstant zu halten und erleichtert das Lernen. Gerade neulich habe ich das mit einer siebten Klasse ausprobiert. Sie kamen aus der Pause zurück und bemerkten sofort, wie gut es in ihrem Klassenraum roch. Dann wurden sie neugierig, schauten sich den Diffusor an. Also: Wenn man ganz unkompliziert eine schöne Stimmung haben will: Bio-Orangenöl!“
Die Macht der Klänge
„Mein Ausbilder Max Strom erzeugt mit einer ganz einfachen Sache sehr viel in den Menschen: Wenn er die Leute nach einer Pause wieder reinholt, hat er ein kleines Instrument, da sind ziemlich schwere Platten mit einem Lederband verbunden. Das Instrument macht ein ganz tolles Geräusch. Letztes Jahr ist meine sechste Klasse so darauf abgefahren. Ich habe einmal das Instrument betätigt und dann haben wir gemeinsam eine Minute lang Atemzüge gezählt. Die Schüler*innen haben von sich aus immer wieder danach gefragt, auch in wilden Situationen: ‚Frau Lemmermöhle, können wir wieder die Eine-Minute-Übung machen?‘“.
Heike Lemmermöhle hat Gesundheitswissenschaften studiert, sie war Fachreferentin für ganzheitliches Gesundheitsmanagement und unterstützt Organisationen dabei, resiliente Teams zu bilden. Aktuell ist Heike Lemmermöhle Mental Health Coachin ist Ostfriesland.
Ein Beitrag von:
Servicebüro Jugendmigrationsdienste